1965 feierte die Zuckerindustrie im Landkreis Peine 100jähriges Bestehen

(Quelle: Landkreis Peine von der Lehrerarbeitsgemeinschaft für Heimatkunde)

 

Zucker ist neben Eiweiß, Fett und Stärke eines der wichtigsten Geschenke der Natur. Er kommt in allen Früchten, Beeren und Trauben vor und heißt nach seiner jeweiligen Beschaffenheit daher Frucht- oder Traubenzucker. Der Milch gibt er als Milchzucker die Süße. Allen drei Zuckerarten aber fehlt die Kraft, unseren Speisen den süßen Geschmack zu geben. Wenn wir uns beim Kaufmann für wenige Euro „Zucker“ kaufen, so bekommen wir gewöhnlich das Produkt aus der Zuckerrübe.

Die Zuckerrübe ist eine Weiterzüchtung der Runkelrübe, in der der Berliner Chemiker Andreas Sigismund Marggraf im 18. Jahrhundert den süßen Stoff entdeckte, der dem Erzeugnis aus dem Zuckerrohr völlig gleichkam. Marggrafs Schüler Franz Carl Achard steigerte durch Auslese den Zuckergehalt in der Runkelrübe und baute in Kunert in Schlesien im Jahr 1802 die erste Rübenzuckerfabrik der Welt. Als dann der Zuckergehalt der Rübe von 1,5 % auf 5 % gesteigert werden konnte, betrachtete man diese Züchtung als neue Pflanze und nannte sie schlicht Zuckerrübe.

Im Kreis Peine entstanden die ersten Zuckerfabriken nach der wirtschaftlichen Zusammenlegung der Grundstücke, die als Flurbereinigung oder Verkoppelung bekannt ist. Die erste genossenschaftliche Zuckerfabrik wurde von weitblickenden Bauern im Jahre 1864 in Groß Lafferde gegründet. Und schon 1866 begann die Gründung in Peine, Clauen folgte 1869. Im nächsten Jahrzehnt entstanden die Fabriken in Hohenhameln (1873) und in Equord (1877); diese ist jedoch 1965 schon verschwunden. Die Ölsburger Fabrik wurde 1952 mit der Zuckerfabrik Peine verschmolzen und verarbeitete seitdem keine Rüben mehr. Nachdem 1963 auch die Fabrik Hohenhameln ihren Betrieb eingestellt hatte, arbeiteten nur noch die Zucker-

fabriken Clauen, Groß Lafferde und Peine in unserem Kreisgebiet.

Der Boden des Südkreises ist für den Rübenanbau gut geeignet und steht dem Boden der Magdeburger Börde kaum nach. Der Rübenanbau äderte die Wirtschaftsart der bäuerlichen Betriebe. Einmal brachte die Rübe bedeutend mehr Arbeit. Sie lieferte aber für das weidearme Gebiet des Südkreises mit ihren Neben- und Abfallprodukten (Schnitzel, Blättern und Melasse) die Grundlage für eine gesteigerte Viehhaltung. Durch die intensive Bearbeitung des Bodens und den stärkeren Anfall an Stalldung erhöhte die Rübe wiederum die Fruchtbarkeit des Bodens.

Mit den Leuten seines Hofes konnte der Bauer oftmals die durch den Rübenanbau anfallende Arbeit nicht bewältigen. Er vergab das „Rübenhacken“ an betriebsfremde Personen. Der Industriearbeiter fand hierbei mit seinen Familienangehörigen in seiner Freischicht einen zusätzlichen Gelderwerb. Das Bearbeiten der Rüben auf de Felde war eine mühselige Beschäftigung, die viel Kraft und Ausdauer erforderte. Besonders schwer und langwierig was das Verziehen der Rüben. Diese Arbeit war notwenig, weil der Rübensamen von Natur aus kein Einzelkorn lieferte, sondern ein ganzes Samenknäuel. Es wuchsen also aus der Saat immer mehrere kleine Pflanzen dicht beieinander, die erst mit der Hand vereinzelt werden mussten. In einigen Fällen mag das heute noch der Fall sein. In der Fachsprache heißt dieser geballte Samen „Polygermsamen“. Die Forschung hat mittlerweile einen neuen Rübensamen entwickelt: den „Monogermsamen“. Das ist die einkeimige Zuckerrübe, die man nicht mehr zu verziehen braucht.

Die Züchtungsversuche in den landwirtschaftlichen Forschungsstätten arbeiteten an der Verbesserung der Zuckerrübe. So gelang es einmal, den Zuckergehalt auf 16 % zu steigern. Mittlerweile soll der Zuckergehalt schon über 20 % liegen.

Neben der Wissenschaft hat auch die Technik sich der Bearbeitung der Rüben angenommen. Wollte der Bauer seine Arbeit bewältigen, so musste er sich moderne Maschinen anschaffen. Verbesserte Drillmaschinen sparen Saatgut und legen den Monogermsamen so in den Boden, dass das langwierige Rübenverziehen heute nicht mehr erforderlich ist. Alle Arbeit im Rübenfelde kann mit der „langen Hacke“ erledigt werden. Der Hackvorgang zwischen den Reihen wird mit der Hackmaschine ausgeführt.

In früherer Zeit war die schwerste Arbeit das Rübenroden. Jede einzelne Rübe musste mit einer Rodegabel aus dem schweren Boden gehoben werden, bei der langen Pfahlwurzel der Zuckerrübe eine karte und anstrengende Sache. Viele Hände waren hierzu nötig. Heute erledigt das Abschneiden der Rübenköpfe und das Roden eine Maschine, die von einem einzigen Mann oder einer Frau bedient werden kann. Ohne diese Hilfe der Technik könnte der Bauer die Rübenernte nicht mehr schaffen.

Heute befördert der Bauer seine Rüben mit dem Trecker oder dem Lastwagen in die Zuckerfabriken. Somit wurde die große Anzahl der Fabriken in unserem Kreis überflüssig, da man auch weitere Wege überwinden konnte. Da Rüben umgehend nach der Ernte verarbeitet werden müssen, hatte dieses seine Vorteile.

Eine Vergrößerung der Anbaufläche ist jedoch aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich, denn die Zuckerrübe darf höchstens alle 4 Jahre auf ein und demselben Ackerstück angebaut werden, weil sie den Boden stark beansprucht.

Als Marggraf vor über 200 Jahren seine Entdeckung veröffentlichte, wurde er verlacht. Doch Zucker aus Zuckerrüben ist heute zu einem Volksnahrungsmittel geworden, das wir uns aus unserem Leben nicht mehr wegdenken können.